Zeit für die Familie

Mittwochs-Kolumne - Paul Oppenheim

Foto: Teresa Howes/freeimages.com

„Weihnachten ist ein Familienfest.“ Das hört man allenthalben und es klingt in unseren Breitengraden wie eine Selbstverständlichkeit.

Hierzulande feiert man Weihnachten zuhause mit der Familie. Im Weltmaßstab ist das natürlich ganz anders, denn vielerorts wird Weihnachten eher auf der Straße, auf öffentlichen Plätzen oder in Restaurants gefeiert.

In Deutschland hat sich Weihnachten und insbesondere Heiligabend nun einmal zum Familienfest entwickelt und zwar zum wichtigsten aller Familienfeste. Daran ist der Protestantismus nicht ganz unschuldig, der den Brauch der Kinderbescherung vom Nikolaustag auf das Christfest verlegt hat. Angeblich soll sich Martin Luther persönlich dafür stark gemacht haben.

Mit dem Austausch der Geschenke unterm Weihnachtsbaum hat sich die Weihnachtsfeier zum Familientreffen verdichtet. Einmal im Jahr gehören Kinder, Eltern und Großeltern, möglichst auch Geschwister, Tanten, Onkel, Nichten und Neffen zusammen. Die Betrachtung der Heiligen Familie im Stall gibt dieser Zusammenkunft der Familie ihren biblischen Grund. So ist es hierzulande Brauch und wurde lange nicht hinterfragt.

Es begab sich aber zu der Zeit, als alles hinterfragt wurde, dass auch die Sinnhaftigkeit eines solchen Familientreffens in Frage gestellt wurde. So hörte man landauf landab: „Ist es nicht heuchlerisch, sich einmal im Jahr unterm Christbaum zu versammeln, wenn man sich gar nicht besonders mag?“,“ Ist es nicht verlogen, zusammen zu singen, wenn man sich lieber anbrüllen möchte?“,“ Ist es nicht ehrlicher, sich aus dem Weg zu gehen, und ist nicht ein Skiurlaub oder eine Kreuzfahrt in die Karibik die bessere Alternative“?

Mir persönlich hat sich die Bedeutung der weihnachtlichen Familienzusammenführung erst auf dem Umweg über China neu erschlossen. Dort ist es nicht Weihnachten, sondern das Neujahrsfest nach dem chinesischen Kalender, das Familien zusammenführt. Junge Männer und Frauen scheuen weder Kosten noch Mühen, um zu ihren Großeltern oder Eltern zu reisen. Das gesamte Eisenbahn- und Flugnetz des riesigen Landes kommt alljährlich an seine Belastungsgrenze. Tausende von Kilometern werden zurückgelegt, um der heiligen Pflicht der Familienbegegnung nachzukommen. Nach Gefühlen oder Neigung wird nicht gefragt, denn der Zusammenhalt der Familie ist die Kraftquelle auch jedes Einzelnen.

In Amerika ist es übrigens das festliche Truthahnessen am vierten Donnerstag im November, das Familienmitglieder aus allen Teilen des Landes zusammenbringt. Thanksgiving ist als Familienfest noch wichtiger als Weihnachten und es erinnert Amerikaner jeglicher Herkunft daran, dass der „neue Kontinent“, auf dem sie leben, reichlich gesegnet ist.

Die Anlässe und Traditionen sind also verschieden, die Familienmitglieder aller Generationen zusammenführen. Bei uns ist es vor allem Weihnachten und das ist gut so… auch als Erinnerung daran, dass zehntausenden von Flüchtlingen das Recht auf Familienzusammenführung verwehrt wird.

Paul Oppenheim, 14. Dezember 2016

 

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